Feuerwehrkräfte trainieren die technische Großtierrettung

Trainer Michael Böhler (links) zeigte den Teilnehmern unter anderem auch, wie ein Pferd umgedreht werden kann. Wie in vielen Einsatzlagen mit Großtieren ist auch hier Teamwork gefragt.
Foto: Bastian Kroll

Neben den zahlreichen Einsatzaufgaben heißt es in den Leitstellen von Feuerwehren häufig auch: Einsatz Tierrettung. Nicht immer ist es dann die sprichwörtliche Katze auf dem Baum, für die Einsatzkräfte der Feuerwehren ausrücken. Die Zahl der Einsätze, an denen große Tiere wie beispielsweise Pferde, Rinder, Lamas oder Esel beteiligt sind, steigt seit Jahren. „Mein Pferd ist in einen Graben gerutscht und schafft es nicht mehr allein heraus. Ein Auto mit Pferdeanhänger ist in einen Verkehrsunfall verwickelt. Ein Rind ist in die Güllegrube gefallen.“ So klingen die Meldungen, die bei den Einsatzzentralen eingehen. Gefordert sind in einem solchen Fall nicht nur die Rettungsorganisationen. Auch immer mehr landwirtschaftliche Betriebe, Tierparks und Veterinärmediziner erkennen die Notwendigkeit, auf derartige Situationen gut vorbereitet zu sein. Denn Fakt ist: Die Zahl der Rettungseinsätze für große Tiere, die in eine Notlage geraten sind, nimmt seit Jahren zu.

Nicht nur Menschen geraten in Situationen, in denen professionelle Hilfe benötigt wird. Das passiert auch Tieren. Um bestmöglich für einen tierischen Rettungseinsatz vorbereitet zu sein, fand am 11. und 12. Juli für jeweils 20 Einsatzkräfte der Feuerwehren aus Heeßel, Schillerslage udn Ramlingen-Ehlershausen sowie als Bonusteilnehmer einen Veterinärmediziner der Tierklinik Großmoor ein Großtierrettungstraining statt. Organisiert und finanziert wird das Training im Rahmen der Initiative des „Netzwerk Fokus Tierwohl“. Das Verbundprojekt hat das Ziel, den Wissenstransfer in die Praxis zu verbessern, eine tierwohlgerechte, umweltschonende und nachhaltige Nutztierhaltung zukunftsfähig zu machen.

Mit der ganztägigen Ausbildung „Technische Großtierrettung – Menschen schützen, Tiere schonen, Werte erhalten“ werden die Retter auf die besonderen Gefahren und Herausforderungen an Einsatzorten mit großen Tieren vorbereitet. Ziel des Trainings ist eine sichere und tierschonende Rettung.

Lernen und üben für sichere und tierschonende Großtierrettungseinsätze

Einen ganzen Tag Zeit nahmen sich die Teilnehmer des Trainings für das Thema. Der Trainingstag begann mit einem Seminarteil, bei dem die angehenden Großtierretter wichtiges Grundlagenwissen erhalten. Neben der ganzheitlichen Analyse der Einsatzsituation geht es um die richtige Einschätzung des Verhaltens von Menschen und Tieren unter Stress. Das Tier ist ein Lebewesen, das anders wahrnimmt als Menschen, das besonders unter Stress unvorhersehbar reagieren kann. Die Einsatzkräfte müssen gewappnet sein, sich als Retter wirkungsvoll schützen und im Team effizient agieren. Ein weiteres wichtiges Thema des Seminarteils ist das konsequent auf Sicherheit setzende Personenmanagement. Das bezieht sich nicht nur auf die Einsatzkräfte und Veterinärmediziner, sondern auch auf andere am Einsatzort anwesende Personen wie die Tierbesitzer oder zufällig anwesende Personen. Denn nicht wenige Menschen setzen bei dem Versuch, einem in Not geratenen Tier zu helfen, bereitwillig und ohne Überlegung ihre eigene Gesundheit und Sicherheit aufs Spiel. Auch die Anwendung geeigneter Einsatzstrategien sowie sichere und tierschonende Vorgehensweisen wurden thematisiert: Die technische Großtierrettung hat viele Facetten.

Der Bezug zur Praxis wird in diesem ersten Seminarteil des Trainingstages anschaulich anhand mehrerer, teils haarsträubender Einsatzvideos aus aller Welt hergestellt. Einsatzübungen mit lebensgroßem Rettungsdummy „Hope“ Nach gut zwei Stunden zur Vermittlung von Grundlagenwissen gingen die Teilnehmer des Trainings ins Gelände südlich von Heeßel, um das Erlernte am Beispiel verschiedener Einsatzszenarien praktisch anzuwenden und zu üben.

Hierfür hatte der Trainer Michael Böhler um ein Gelände gebeten, das für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer echte Herausforderungen bereithält. „Ideal sind Hänge und Gräben, Wasserläufe, Morast, Unterholz oder auch dichter Baumbestand“, weiß Großtierrettungstrainer Böhler aus Erfahrung. „Es ist kaum zu glauben, in welch haarsträubende Situationen sich Tiere immer wieder bringen. Schwierigste Gelände sind im Einsatz eher die Regel als die Ausnahme. Wir führen die Übungen so authentisch wie möglich durch. Man kann die Stellung des Tieres und den Ort, wo es liegt, nicht beeinflussen. Mit vielseitigen Übungen sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf alles vorbereitet.“

Bevor es zur ersten Übung ging, legten die Teilnehmer ihre persönliche Schutzausrüstung an, die auch im Einsatz unbedingte Pflicht ist. Dann wurde der lebensgroße Rettungsdummy des Trainers entladen – ein unverzichtbares Lehrmittel für realitätsnahe Übungsszenarien. „Hope“ ist ein professioneller Pferdedummy, wiegt circa 200 Kilogramm und hat bewegliche Gelenke wie das lebendige Vorbild. Sein großer Vorteil: Er lässt alle Übungen und auch Fehler, die beim Training natürlich gemacht werden dürfen, geduldig über sich ergehen.

Training mit dem einzigen Anbieter qualitätszertifizierter Großtierrettungstrainings in Deutschland

Bis in den späten Nachmittag hinein simulieren die Trainingsteilnehmer mit Hope verschiedene Notlagen, wie sie im echten Einsatz vorkommen können: Es gilt das Pferd behutsam aus misslichen Lagen wie Gräben oder verunfallten Anhängern zu befreien – eine Herausforderung, die Geschicklichkeit und Teamarbeit erfordert.

Die Teilnehmer lernen unter Anleitung des Trainers und mit dem Dummypferd, wie eine sichere und tierschonende Großtierrettung ablaufen sollte. Dabei kommen auch die Spezialwerkzeuge zum Einsatz. Die Werkzeuge sind internationaler Standard und wurden für die technische Großtierrettung entwickelt. Sie sind geeignet, Tiere schonend und schmerzfrei zu befreien, ohne dass die Rettungskräfte dem Tier zu nahekommen müssen.

Alle Einsatzszenarien werden so realistisch wie möglich nachgestellt, um die Einsatzkräfte und Veterinärmediziner auf den Ernstfall vorzubereiten: Damit sich Retter nicht in Gefahr bringen und Tierbesitzer auf professionelle Hilfe setzen können.

Interessiert schaute auch der stellvertretende Brandschutzabschnittsleiter Tim Herrmann bei der Ausbildung zu, denn ein solches Trainung ist nicht alltäglich. Katharina Engelge von der Ortsfeuerwehr Heeßel, die das Tarining organisiert hatte, fasst den Tag in einem Satz zusammen: „Das war eine Einheit, die uns viele neue Dinge gelehrt hat und die wir im Einsatz nun auch anwenden können, um nicht nur dem Tier bestmöglich zu helfen sondern auch uns selbst nicht unnötig in Gefahrzu bringen. „

Hintergründe

Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland – anders als in anderen Ländern – keine qualifizierte Ausbildung zur Vorbereitung auf Großtierrettungseinsätze. Lutz Hauch, Berufsfeuerwehrmann a.D. und Pferdetrainer lernt die in England entwickelte Technische Großtierrettung kennen, entwickelte ein auf die Feuerwehren in Deutschland abgestimmtes Ausbildungskonzept. Er gründet ComCavalo Technische Großtierrettung und beginnt, das Thema in Deutschland bekannt zu machen.

Michael Böhler beginnt seine Ausbildung zum Autorisierten Trainer von ComCavalo Technische Großtierrettung. Er bringt viele Jahre Feuerwehrerfahrung mit und ist vertraut mit Pferden. Das Ausbildungskonzept von ComCavalo wird qualitätszertifiziert zertifiziert nach Din ISO 9001. Alle Trainer von ComCavalo arbeiten nach diesem Ausbildungskonzept.

Das Fachbuch „Technische Großtierrettung“ von Lutz Hauch erscheint. Es ist das einzige deutschsprachige Standardwerk zur technischen Großtierrettung. Michael Böhler beginnt nach Abschluss seiner Ausbildung, Rettungsorganisationen in Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen zu trainieren.

Nora Hoffmann, engagierte Gruppenleiterin bei der Feuerwehr an ihrem Wohnort, Pferdebesitzerin und leidenschaftliche Reiterin beginnt die Ausbildung zur Autorisierten Trainerin bei ComCavalo.

Nach Abschluss des intensiven Ausbildungsprogramms trainiert Nora Hoffman Rettungsorganisationen in ihrem Heimat-Bundesland Sachsen-Anhalt sowie in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Thomas Sittinger beginnt seine Ausbildung zum Autorisierten Trainer. Nach dem Abschluss wir der Rettungsorganisationen in Bayern und Baden-Württemberg trainieren.

Lutz Hauch bekommt die Auszeichnung „wehorse Courage Award“ für besondere Verdienste im Pferdesport und Tierschutz. Er zeichnet Menschen aus, die sich in besonderer Weise für das Wohl der Pferde einsetzen.

In Deutschland verfügen bis heute circa 600 Rettungsorganisationen über trainierte Einsatzkräfte in Mannschaftsstärke. Ca. 4.000 Personen haben an der Ausbildung der technischen Großtierrettung teilgenommen.

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